Sexsucht

 
 

Süchtiges sexuelles Verhalten
 
I. Vorbemerkung

Nicht selten, wenn ich einen Vortrag über Sexsucht halte, bekomme ich Aussprüche zu hören wie "Wenn das eine Sucht sein soll, dann habe ich sie auch" oder "wenn ich schon von etwas abhängig sein soll, dann gewiss von Sex". Manche Zuhörer assoziieren also primär eigene unerfüllte Wünsche im Bereich der Sexualität - und wer hätte die- nicht? - oder glauben, Sexsucht habe überwiegend etwas mit Lust und sexueller Erfüllung zu tun. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall, genauso könnte man den fortgeschrittenen Alkoholiker um seinen "Genuss" diverser edler Tropfen beneiden.
Für Sexsüchtige ist ihre Sucht Quelle großen Leids, massiver Selbstabwertung, Ursache gravierender Partnerschaftsstörungen und oft auch der Weg in die gesundheitliche (AIDS), berufliche oder finanzielle Selbstzerstörung. Viele Aspekte der Sexsucht vollziehen sich im privaten Lebensbereich und erreichen nicht die öffentliche Aufmerksamkeit. Kommt es aber im Zusammenhang mit sexuellen Akten doch zu einer öffentlichen Bloßstellung wie bei Präsident Clinton, bei Hollywood Schauspielern oder bei Kollegen mit sexuellen Übergriffen hier in Deutschland, dann sind die Auswirkungen - wie wir alle wissen - enorm.

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II. Einleitung

Zunächst folgt ein kurzer Überblick über die Sexsucht, dann wird die Bedeutung des Themas für Suchtmediziner erklärt.

Überblick

Sexsucht ist eine wenig bekannte Form der nicht Stoffgebundenen Süchte (vgl. Spielsucht, Kaufsucht, etc.). Auch wenn genaue Angeben zur Prävalenz nicht vorliegen, muss man auch in Deutschland von einer größeren Gruppe betroffener Männer und Frauen ausgehen. Die Krankheitsentwicklung verläuft in der für Suchtprozesse üblichen Entwicklung: Gesteigertes Interesse, hohe persönliche Aufmerksamkeit und Energie für das süchtige Verhalten, Toleranzentwicklung, Dosissteigerung, Entzugssymptome (psychisch), zunehmendes Kreisen um Sexualität und Lust, drohender oder tatsächlicher Zusammenbruch. Wie bei anderen Süchten auch sind die Angehörigen mit in das Suchtgeschehen eingebunden, ja wirken z.T. daran mit, um den Partner/in nicht zu verlieren. Es gibt eine weltweite Verbindung von Selbsthilfegruppen für Sexsüchtige bzw. Sex- und Liebessüchtige. In der therapeutischen Behandlung sind oft ein Nebeneinander von Alkohol- und /oder Medikamentenabhängigkeit mit Sexsucht zu beobachten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein sexsüchtiger Mensch ohne Behandlung und Selbsthilfegruppe das süchtige Verhalten steuern kann und Zugang zu einer gesunden Sexualität findet, ist gering. Bei adäquater Therapie bestehen gute Aussichten auf Erfolg.

Warum ist Wissen über Sexsucht für Mediziner insbesondere für Suchtmediziner von Bedeutung?

  1. Viele Süchtige sind bekanntermaßen mehrfachabhängig, oft kommt es zur Suchtverlagerung und es gibt zahlreiche Fälle, wo die primäre Alkoholabhängigkeit erfolgreich behandelt wurde, eine Sexsucht nicht erkannt oder thematisiert wurde und dann ein Rückfall auch mit dem primären Suchtmittel erfolgte. Insofern steht hinter manchem Alkoholrückfall eine nicht erkannte Sexsucht.
  2. Weil Sexsucht häufig sehr schambesetzt ist, wird sie dem Arzt vom Patienten entweder gar nicht oder nur in Andeutungen mitgeteilt. Wer dann nicht gelernt hat spezifisch nachzufragen, wird diagnostisch in die Irre gehen. Selbst wenn Patienten/innen in Ausnahmefällen ihren behandelnden Arzt auf die suchtartigen sexuellen Verhaltensweisen hinweisen, treffen sie meist nicht auf Kompetenz und Verständnis, sondern bedauerlicher Weise, nicht selten auf krasses Nichtwissen. Dies verhindert eine adäquate Behandlung für den Patienten und lässt den betreffenden Arzt/Ärztin in keinem guten Licht erscheinen.
  3. Wir wissen, dass sich in Kirche, Medizin, Psychotherapie oder der Hochschule sexuelle Übergriffe ereignen, vermutlich viel häufiger als der Öffentlichkeit bekannt wird. Die Täter sind oft Serientäter und kommen u.U. zu Ihnen als Mediziner zwecks Begutachtung oder Behandlung. Ohne ein Grundwissen über süchtige Verhaltensweisen in der Sexualität ist Therapie in diesen Fällen zum Scheitern verurteilt. Darüber hinaus ist die Einbeziehung aktueller Erkenntnisse über Sexsucht für die Formulierung von Therapieauflagen, standespolitische /Berufsverbandsauflagen für übergriffige Ärzte unabdingbar.

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III. Woran kann man Sexsucht erkennen?

Die sexuelle Abhängigkeit wird in Analogie zu anderen Süchten definiert mit den Leitsymptomen:

  • Die sexuelle Aktivität wird zunehmend wichtig, überwertig, verdrängt nach und nach alle anderen Interessen;
  • Kontrollverlust tritt auf - Durchbrechen aller Vorsätze, Schwanken zwischen Über-Kontrolle und dem Verlust von Kontrolle über die sexuellen Handlungen;
  • Fortsetzung dieses Verhaltens trotz negativer Konsequenzen ja erheblicher Eigengefährdung;
  • Progressiver Verlauf Wie kann das süchtige sexuelle Verhalten nun konkret aussehen? Einige der Fälle, die nur in meiner Zeit als Chefarzt der Oberbergklinik Homberg begegnet sind, und einige Beispiele von P. Carnes seien kurz skizziert:
  • Ein jung verheirateter Kollege mit zwei kleinen Kindern, diversen außerehelichen Affären und enormen Schulden versucht innerhalb der Therapie, die ihm einen Ausweg aus einer verzweifelten Situation weisen soll, auch noch die Arztsekretärin ,,anzumachen".
  • Ein polytoxikomaner Selbständiger, der sich ganze Nachmittage in sein Wohmnobil zurückzieht, stundenlang Pornographie anschaut und exzessiv onaniert während sein Geschäft in den Ruin steuert.
  • Eine sehr attraktive alkoholabhängige Hausfrau, aufwendiger Lebensstil trotz Arbeitslosengeld, als Kind wiederholt vom Vater sexuell missbraucht, in der Vergangenheit mehrere Beziehungen oft zu älteren sehr vermögenden Männern, fast ständig von einem hoch erotischen Fluidum umgeben, das die Einzeltherapie erschwert, es kommt wiederholt zu einem Pairing mit Mitpatienten in der Klinik. - Eine Frau befriedigt sich selbst so heftig mit dem Vibrator, dass sie sich verletzt und den Notarzt rufen muss.
  • Ein 36jähriger Mann wird zum dritten Male festgenommen, weil er Damenunterwäsche stiehlt.
  • Ein Pfarrer wird von seinem Bischof zur Rede gestellt, weil er mit verschiedenen Frauen der Gemeinde erotische Beziehungen unterhält.

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In der ärztlichen Praxis als Niedergelassener werden Sie Sexsüchtige vermutlich selten als solche diagnostizieren. Mehr Entdeckungschancen haben wohl klinisch tätige Kollegen, insbesondere im Bereich der Suchttherapie. Wann sollten Sie als Kliniker besonders auf Hinweise auf Sexsucht achten?

Bei alkohol- oder medikamentenabhängigen Menschen und bei sexuellem Missbrauch; bei Durchbrechen der Hausordnung einer Klinik im Zusammenhang mit Sex und abgebrochenen stationären Therapien (Rausschmiss!),; bei einer Sexualisierung jeglichen Kontaktes, akute Partnerschaftskrisen, AIDS, Hinweise von Angehörigen. Sexsucht per se ist gegenwärtig weder im DSM IV noch im ICD 10 als eigene Krankheit verschlüsselt.

Als diagnostische Kategorien kommen daher verschiedene Möglichkeiten in Betracht:

  • Sexuelle Störung (ICD 10 F 66-9)
  • Paraphilien (ICD 10 F 65-9)
  • Störung der Impulskontrolle, (ICD 10 F63-9) oft im Zusammenhang mit
  • Posttraumatischer Belastungsstörung (ICD 1 0 F 43. 1)
  • Störung durch psychotrope Substanzen (ca. 60% der SA)
  • Anpassungsstörung (ICD 10 F 43.8) (mit Beeinträchtigung der beruflichen und sozialen Tätigkeiten)

Angaben zur Häufigkeit schwanken, eine umfassende Studie zur Prävalenz steht derzeit noch aus. Schwierig ist die genaue Definition des Begriffs. Nennen wir nur diejenigen sexsüchtig, die wegen süchtigen sexuellen Verhaltens in extremer Not sind (ähnlich wie etwa ein alkoholkranker Obdachloser) bekommen wir ganz andere Zahlen, als wenn wir auch die im Alltag integrierten Menschen mit hinzunehmen, die sexuell süchtiges Verhalten zeigen. Während P. Carnes in den USA viele verschiedene Bereiche darunter subsumiert und auf 3-6% Prävalenz in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung kommt, sind europäische Autoren sehr viel zurückhaltender. So vermutet der Züricher Psychiatrie Professor C. Buddeberg eine Prävalenz von Sexsucht lediglich im Promillebereich.

Männer und Frauen sind betroffen, jedoch sind wohl deutlich mehr Männer wie Frauen sexsüchtig. Die wenigen zugänglichen Zahlen deuten auf einen ca. 70-80% Männer ~ respektive 20-30% Frauenanteil. Tatsache ist: Eine Vielzahl von Betroffenen bekamen insbesondere durch die Bücher von Pat Carnes und sein Auftreten in den Massenmedien Mut, haben sich geoutet und viele Selbsthilfegruppen gegründet. Derzeit gibt es etwa 5 vollstationäre und 50 Tagesklinikeinrichtungen spezifisch für Sexsüchtige in den USA.

Für den Behandler/in ist neben der Diagnose aber von entscheidender Bedeutung, die genaue Art und vor allem auch das Ausmaß der sexuellen Abhängigkeit zu erkennen. Dies ist zeitaufwendig. Bewährt bat sich aus klinischer Sicht eine Einteilung in drei Stufen:

Stufe I

  • zwanghaftes Masturbieren
  • multiple Partner/innen
  • exzessive sexuelle Phantasien
  • Telefonsex
  • Exzessiver Gebrauch von Pornographie
  • sexuell sadistisches oder masochistisches Verhalten
  • Transvestitischer
  • Fetischismus Urophilie

Stufe II

  • sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit
  • obszöne Anrufe bei Unbekannten
  • Nekrophilie
  • Exhibitionismus
  • Frotteurismus
  • Prostitution ob als Prostituierte oder als Freier
  • Voyeurismus
  • Sexuelle Belästigung z.B. am Arbeitsplatz

Stufe III

  • sexuelle Belästigung/Handlungen mit Kindem oder Minderjährigen
  • Sex mit ,vulnerablen" Erwachsenen (unter Drogen, Minderbegabten)
  • Sex mit Klientinnen, Patientinnen, Gemeindeangehörigen

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Wichtig für die diagnostische Erfassung ist auch festzustellen, ob es schon zu einer Anzeige/Verurteilung wegen einer sexuellen Straftat gekommen ist. Jeder Arzt sollte vor einer Überweisung an oder Aufnahme in eine Klinik sorgfältig erfragen, wieweit aggressive Äußerungen und Handlungen Teil(e) der sexuellen Erregungsschleife sind. Sonstige psychopathologische Besonderheiten (Psychose, organische Hirnkrankheit, aktiver Suchtnittelgebrauch z.B. Drogen wie Kokain) sollten erfasst und dokumentiert werden.

Als orientierende Testuntersuchung kann auch der Screeningtest nach Carnes herangezogen werden, der als positiv gilt, wenn mehr als 13 Fragen mit ja beantwortet werden.

Screening Test für sexuelle Abhängigkeit/Sucht Nach Carnes

  1. Sind Sie als Kind oder Jugendlicher sexuell missbraucht worden?
  2. Haben Sie bislang einmal ausgesprochene Sex-Magazine abonniert oder regelmäßig gekauft?
  3. Hatten Eltern sexuelle Probleme?
  4. Haben Sie bei sich selbst festgestellt, dass Gedanken sexuellen Inhalts im Vordergrund stehen?
  5. Haben Sie das Gefühl, Ihr sexuelles Verhalten ist nicht normal?
  6. Macht Ihr/ Ihre Partner/in (oder sonstige nahe stehende Person) sich Sorgen oder beklagt sich über Ihr Sexualverhalten?
  7. Haben Sie Schwierigkeiten, Ihr sexuelles Verhalten abzubrechen, wenn Sie wissen, dass es unpassend ist?
  8. Fühlen Sie sich jemals schlecht wegen ihres Sexualverhaltens?
  9. Hat ihr Sexualverhalten jemals Ihnen oder Ihrer Familie Probleme bereitet?
  10. Haben Sie jemals Hilfe gesucht wegen eines Sexualverhaltens, das Ihnen unangenehm war?
  11. Sind Sie jemals besorgt gewesen, andere Menschen könnten über ihr Sexualverhalten Kenntnis erlangen?
  12. Ist einmal jemand durch Ihr Sexualverhalten emotional verletzt worden?
  13. Sind irgendwelche Ihrer sexuellen Vorlieben im Konflikt mit geltendem Gesetz?
  14. Haben Sie sich selbst vorgenommen, einige Aspekte Ihres Sexualverhaltens aufzugeben ?
  15. Haben Sie sich bemüht, eine Art Ihres sexuellen Verhaltens aufzugeben und sind dabei gescheitert?
  16. Müssen Sie einige Aspekte Ihres Sexuallebens vor anderen verbergen?
  17. Haben Sie versucht, einige Teile Ihrer sexuellen Aktivitäten aufzugeben?
  18. Haben Sie sich irgendwann einmal minderwertig (degradiert) gefühlt wegen Ihres Sexualverhaltens?
  19. Ist Sex für Sie eine Möglichkeit gewesen, Problemen zu entfliehen?
  20. Wenn Sie Sex haben, fühlen Sie sich dann nachher niedergeschlagen/deprimiert?
  21. Haben Sie bisher einmal die Notwendigkeit gespürt mit einer bestimmten Form von Sexualität aufzuhören?
  22. Sind Ihre sexuellen Aktivitäten einmal mit Ihrem Familienleben kollidiert?
  23. Sind Sie einmal Minderjährigen sexuell nahe gewesen?
  24. Fühlen Sie sich durch Ihr sexuelles Verlangen bestimmt oder kontrolliert?
  25. Haben Sie jemals den Gedanken gehabt, dass Ihr sexuelles Verlangen stärker als Sie ist?

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IV. Was sind die Grundzüge der Therapie der Sexsucht?

Die erste Entscheidung vor Therapiebeginn ist oft, welche der nebeneinander vorkommenden Abhängigkeiten zuerst zu behandeln ist. Aus der klinischen Erfahrung heraus sollte dies in der Regel die Stoffgebundene Suchtform sein. Erst danach macht die Behandlung der süchtigen sexuellen Verhaltensweisen Sinn. Der häufigste Fehler, den leider auch Suchtfachleute begehen, ist die Annahme, mit einer gründlichen Suchtbehandlung alle Formen der Sucht therapiert zu haben. Die Praxis zeigt aber das Gegenteil: Viele Abhängige intensivieren nach einer Alkoholentwöhnungstherapie das süchtige sexuelle Verhalten. Dies führt oft, aber nicht immer, zu einem Rückfall auch in die ,,nasse Phase" des Trinkens. Viele Sex-Süchtige erkennen ihre sexuelle Verwundung auch erst in einer Suchttherapie z.B. wegen Alkohol oder Medikamenten.

Ob eine Behandlung nun ambulant oder stationär stattfindet, entscheidet sich an den Behandlungsmöglichkeiten. Jedenfalls ist derzeit das Netz ausgebildeter und erfahrener Ärzte/Therapeuten für Sex-Süchtige noch recht dünn. Vollstationäre Behandlung ist erforderlich, wenn der/die Betroffene selbstdestruktiv ist, Therapiekontrakte im ambulanten Setting nicht einhalten kann, wenn eine ambulante Behandlung fehlgeschlagen ist oder auch wenn sonstige psychische Krankheiten vorliegen. Alle Behandler von Sexabhängigen stimmen überein, dass die erfolgreiche Behandlung Sexabhängiger mehrjährig sein soll und intensive Psychotherapie beinhaltet.

In Deutschland haben wir in der Regel längere stationäre Behandlungsmöglichkeiten im stationären psychosomatischen Bereich, hier scheint eine stationäre Psychotherapie von Anfang an sinnvoll. Themen sind die allgemeine und spezielle sexuelle Lebensgeschichte und Familiengeschichte, das sich Herantasten an den evtl. eigenen Missbrauch, die Erarbeitung der Funktionalität des Suchtmittels Sex, das Aushalten und Annehmen von Gefühlen, das Gewinnen positiver Selbsterfahrung und Selbstwertgefühle. Es geht also darum wieder eine Beziehung zu sich zu finden und aus dieser gesünderen Beziehung zum eigenen Ich dann auch ein bessere, gesündere Beziehung zu anderen leben zu können. Emotional offene therapeutische Gemeinschaften und Gruppen begünstigen solch eine Entwicklung.

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Schwierig und nur individuell zu lösen ist die Frage, wie sexuell abhängige Patienten/innen mit anderen zusammen zu behandeln sind, wo dies eventuell auch an den Reaktionen der Mitpatienten/innen scheitert. Wenn die sexuelle Aktivität zu ausgefallen oder angstauslösend ist, kann dies Thema ausreichend in Einzeltherapie bearbeitet werden, vorausgesetzt, diese ist genügend frequent vorhanden. Bezüglich der Mitarbeiter/innen wird man als Leitende/r sehr genau schauen müssen, wer einem solchen Patienten gewachsen ist. Der Referent hat in Deutschland mehr als einmal erlebt, dass insbesondere jüngere Therapeutinnen vor den nach und nach beim Patienten auftauchenden Aggressionen solche Angst bekamen, dass die Einzeltherapie gewechselt werden musste. Auch das persönliche Einbezogen-Werden in eine Atmosphäre der Verführung kenne ich aus eigener Erfahrung und empfehle dringend eine engmaschige Supervision.

In den USA folgen die meisten stationären Programme einem kognitiv-behavioralen Ansatz. Psychotherapie im engeren Sinne einer längeren Gesprächstherapie ist weniger verbreitet. Einzelne Behandlungsbausteine sind: Viel Information über die Krankheit, u.a. auch mit Filmen, Besprechung familiärer Hintergründe, Selbsteinstufung auf diversen sexuellen Fragebögen, detaillierte Beschreibung des Ablaufes der sexuellen problematischer Verhaltensweisen, Männergruppe, Frauengruppe, intensive Einbindung in die diversen Selbsthilfegruppen, Vorbereitung von Familiengesprächen, Abgrenzung gesunder versus auf Scham basierender Sexualität, Entspannungsverfahren. Vieles davon ist SuchttherapeutInnen bekannt.

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Was ist nun spezifisch für die Therapie der Sexsucht?

Zunächst steht bei allen mir bekannten Programmen die vollständige Abstinenz aller sexuellen Handlungen mit sich oder anderen für 90 Tage. Dies ist für die Betroffenen außerordentlich stressreich, massive psychische Entzugserscheinungen sind zu erwarten. Durch das Fasten von jeglichem Sex wird das aktive sexuelle Ausagieren gestoppt, eine Chance gewonnen, Intimität ohne Sexualität zu erleben, jede Menge unterdrückter Gefühle an die Oberfläche gebracht und insbesondere das Erleben von Schmerz und Schuld für den Sexabhängigen ermöglicht. Durch die Zusammenfassung gleichsinnig Betroffener in einer Gruppe wird ein schnelleres Öffnen, Verminderung der Scham, schnellere Überwindung der Verleugnung erreicht. Für die meisten Patienten entsteht initial hoher Druck durch das Zölibat (keine sexuellen Handlungen mit anderen oder mit sich). In der ersten Woche ist man fast nie allein, die Türen bleiben stets offen, Unterbringung häufig in Mehrbettzimmer, Männer und Frauen in getrennten Zimmern, man hat vor dem Duschen Bescheid zu sagen; Auftauchende sexuelle Gedanken und Impulse sollen spontan und mehrfach täglich gegenüber Mitpatienten/innen, Pflegeteam, Therapeut/in mitgeteilt werden. Spezifische Kontrakte bezüglich Kleidung, Parfüm, Utensilien, Telefonerlaubnis etc. werden individuell geschlossen. Immer wieder gibt es Ermutigung, mit dem Lügen aufzuhören und die Wahrheit schneller zu sagen. Breiten Raum nimmt das Wieder-Erlernen von Nähe, von Vertrautheit ohne Sexualität ein. Dies ist für die Betroffenen häufig zunächst kaum vorstellbar, weil sie es in der Vergangenheit selten oder nie erlebten. Als Grundsatz gilt hier, erst brauche ich eine gesunde Beziehung zu mir selbst, dann zum Du und erst danach wird die Schwelle zur Sexualität überschritten.

Sehr kontrovers diskutiert wird, wie weit die ehrliche Offenlegung der Vergangenheit gegenüber dem Partner/in gehen soll. Die meisten Betroffenen und viele Therapeuten empfehlen hier (anders als etwa beim Alkoholiker) zunächst abzuwarten und nichts zu sagen! Keine Beichte über Verhältnisse, Clubs, Sauna, Massagen, Prostituierte etc. Hintergrund ist, dass ansonsten wohl die extrem belasteten Partnerschaften auseinander gehen.

Sehr genau wird die sexuelle Entwicklung und die diversen Botschaften positiver wie negativer Vorbilder im Elternhaus angeschaut. Spezifisch und wiederholt werden alle möglichen Formen eigener Missbrauchserfahrungen angesprochen (Vernachlässigung, Art und Ausmaß von Bestrafung, körperliche Gewalt, verbale Gewalt/Drohungen und sexuelle Missbrauchserfahrung). Während Missbrauchserlebnisse insbesondere bei Männern extrem verleugnet werden, können Sexabhängige das erste sexuelle Erlebnis als Jugendliche genau erinnern. Es ist oft sehr früh mit 9, 10 oder 11 Jahren und von einer überwältigenden Intensität. Ähnlich positive Ersterfahrungen haben mir in Deutschland sonst am ehesten Drogenabhängige von ihrem ersten ,,Kick" berichtet. Wichtiges Merkmal für die Entstehung sexueller Abhängigkeit ist auch, wie diese Ersterfahrung dann immer wieder gesucht wird um Stress, unangenehme Gefühle verschiedenster Art, Angst, Einsamkeit, Depression zu betäuben, vergessen zu machen. In der Rückschau wird ferner festgestellt, ab wann eine Gewöhnung einsetzte, die Dosis gesteigert wurde oder der Nervenkitzel z.B. durch multiple Partner, Sex in der Öffentlichkeit oder Aufsuchen des Rot-Licht Milieus erhöht wurde.

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Grob kann die stationäre Behandlung unterteilt werden in vier Phasen:

  1. Evaluation (psychologische Teste, Erstinterview, Lebenslauf, gegebenenfalls Medikation),
  2. Phase der Offenlegung und Rechenschaftsbericht (Übernahme von Verantwortung dessen, was Patient/in getan hat; Beschreibung von exzessiven, süchtigen sexuellen Verhaltensweisen, wenn gegeben Beschreibung der sexuellen Delikte, Schilderung des Verhaltenskette (z.Bsp.: Ein Patient fühlt sich zu Hause einsam, geht erst in erotische Phantasien/Erinnerungen, sucht dann eine geeignete Stelle etwa ein Einkaufszentrum, begibt sich an eine besonders enge, vielfrequentierte Stelle, berührt über Minuten bis Stunden gezielt im Gedränge Frauen /Männer an Brust, Gesäß, Genitalien, erweckt dabei den Eindruck von Zufall, spürt innerlich zunehmende sexuelle Erregung, masturbiert auf nah gelegenem WC oder im Auto bis zum Höhepunkt, fährt nach Hause und erlebt dort in Gedanken noch einmal die gerade abgelaufene Szene nach und masturbiert dabei erneut) eines Erregungskreislaufes),
  3. Phase der Rückfallprävention (Rückfallpräventions Fragebogen ausfüllen, Verhaltenskette auflisten, diesmal mit Verhinderungs- und Vermeidungsstrategien, Zusammenhang herstellen zwischen Verhaltenskette und negativen Denkmustern/Einstellungen.
  4. Phase der Empathie für das/die Opfer (obligat für sexuelle Straftäter/sex offenders). Psychodramatische Darstellung der sexuell strafbaren Handlung/Situation, Identifizierung der Opfer, Ihrer Gedanken, Gefühle, Auswirkungen der Tat unmittelbar und später, Vertiefung durch Bücher und Filme über Opferschicksale. Gegebenenfalls Briefe der Entschuldigung/Wiedergutmachung an das Opfer.

Die medikamentöse Behandlung hat einen klaren Platz in der Behandlung der Sex-Sucht. Einige Abhängige geben an, dass die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin oder Paroxetin die Intensität ihrer sexuellen Obsession positiv beeinflusst, so dass sie besser am Therapieprogramm teilnehmen können. Für andere ist die Orgasmusverzögernde Nebenwirkung der SSRI von Nutzen. Außerdem helfen diese Substanzen in der Therapie einer oft vorliegenden (primären oder sekundären) Depression. Auch Antiandrogene wie z.B. Cyproteron (Androcur) werden insbesondere bei sexuellen Straftätern eingesetzt.

In der Vorbereitung der Entlassung haben sich individuelle Verträge bestens bewährt. Durch zunehmendes Erkennen der ritualisierten, stufenweise verlaufenden inneren und äußeren Prozesse (Auslöser- und Verhaltensketten) wird es den Sex-Süchtigen möglich, bestimmte gefährliche "Kreuzungen" erst gar nicht anzusteuern, d.h. bestimmte Situationen, Verhaltensweisen aus ihrem Leben fernzuhalten. Dies geschieht u.a. in Form eines Vertrages, der spezifisch und im Einzelnen diese Rückfallbahnenden Situationen/Verhaltensweisen benennt und die künftige Vermeidung festlegt. Tritt dann dieses Verhalten später auf, wird es je nach Situation als einmaliger Ausrutscher, Rückfall oder fortgesetzter Rückfall aufgefasst mit entsprechenden Konsequenzen für die Therapie. Utilisiert werden auch weitere Techniken der Verhaltensmodifikation z.B. die drei Sekunden Regel, eine Begrenzung der Zeit, die auf einen Reiz oder ein Objekt focussiert wird, das sexuell stimulierend ist.

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V. Angehörigenarbeit

Süchte, das wissen Sie, sind Familienkrankheiten, sie betreffen oft mehrere Generationen, sie prägen nachhaltig alle Beteiligten. Grundsätzlich ist es bei der Sexsucht nicht anders, jedoch ist die Intimität ein so zentraler Bereich des menschlichen Erlebens und der Partnerschaft, dass die Verstrickung der Partner/in besondere Ausmaße annimmt. Wut, Hass, Eifersucht, gesundheitliche Gefährdung durch übertragbare Krankheiten, Selbstherabwürdigung durch Mitmachen eigentlich unangenehmer sexueller Praktiken, damit er/sie keinen Vorwand hat sich woanders das Gewünschte zu suchen. Intensivste Gefühle, Scham, Ängste enormer Selbsthass kennzeichnen die Angehörigen vieler Sexabhängigen. Sehr offen darüber berichtet hat die amerikanische Ärztin Jennifer Schneider in ihrem Buch Back from Betrayal. Interessant ist, dass die persönlichen Grundüberzeugungen (s.o) von Angehörigen genau denen der sexsüchtigen Partner/in entsprechen. Außerdem scheint das Ausmaß der frühkindlichen emotionalen, körperlichen und sexuellen Missbrauchserfahrungen, nach den Untersuchungen von Pat Carnes, denen der Sexsüchtigen wenig nachzustehen. Konkret könnten die Co-SA also auch SA sein und in der Tat gibt es Übergänge. Wie auch beim Alkohol sind die Lern- und Gesundungsschritte der Angehörigen nicht weniger mühsam, als die der "identifizierten Patienten/innen". Die meisten Behandlungsprogramme haben deswegen Familien Programme, arbeiten dort zunächst nur mit den Angehörigen und bereiten dann ein Paar/Familiengespräch vor.

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VI. Ärzte und Geistliche mit Sexsucht

Aufgrund der besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit, wegen der massiven ethischen Pflichtverletzung sowie der hohen Entschädigungssummen sind zwei Berufsgruppen zahlenmäßig vor anderen in den amerikanischen Behandlungseinrichtungen: Ärzte und Geistliche. Die berufsgruppenspezifische Betroffenheit hat in den USA große Ausmaße erreicht, so wurden in Kalifornien 1993 ein Viertel aller eingezogenen Approbationen wegen sexual transgression ausgesprochen, die Schadenersatzsummen aller katholischen Diözesen wegen sexueller Verfehlungen von Priestern nähert sich 1 Milliarde Dollar, schon manche Gemeinde ist dadurch finanziell ruiniert worden.

Nun haben wir bisher in Deutschland ein geringes Problem-Bewusstsein an diesem Punkt, sieht man von den Berichten von Fischer & Fischer (Deutsches Institut für Psychotraumatologie) ab. Manchmal gibt es einen groß aufgemachten Bericht in der Presse, wie z.B. über den Psychologieprofessor aus Konstanz, der jahrelang Studentinnen missbrauchte, aber von einer größer angelegten Stellungnahme der Ärztekammern, des Psychologenverbandes o.ä. ist mir nichts bekannt. Nichtsdestotrotz existiert das Problem hierzulande genauso. Der Verständnisschlüssel für die meisten Szenarien beruflicher sexueller Ausbeutung ist: Es geht nicht primär um Sexualität sondern um Machtmissbrauch! Insofern die Aufmerksamkeit sich aus einer anfänglich einseitig feministischen Perspektive zu mehr neutraler Betrachtung erweitert, finden sich zunehmend auch Frauen, die beruflichen sexuellen Missbrauch betreiben. Auf jeden Fall muss jede/r, der sich mit sexuell Abhängigen beschäftigt, hierzu seine eigene Position erarbeiten, sich klar machen, ob und wie er Opfern sexueller Übergriffe von Ärzten/Therapeuten oder Priestern rät, den Täter/in zu konfrontieren. Auch eine Erforschung eigener Anteile, die zum Täter neigen ist sehr ratsam.

In den USA besteht mittlerweile eine gesetzliche Pflicht, alle Kollegen anzuzeigen, deren Namen im Zusammenhang mit einer unerlaubten sexuellen Handlung von Patientinnen genannt wird. Ich persönlich bezweifele, ob damit wirklich ein Schutz des Opfers erreicht wird. Wichtig ist aber für Sie zu wissen, dass solche Handlungen in den meisten Fällen Wiederholungstaten sind. Zunehmend werden angezeigte Kollegen begutachtet. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen möchte ich die Erfahrungen von RICHARD IRONS, Menninger Clinic in Topeka, Kansas, mit über 200 Kollegen/innen aufnehmen. Für sexuell übergriffige Ärzte hat er eine Einteilung vorgeschlagen, die auch in der individuellen Psychotherapie Berücksichtigung finden könnte:

  • der naive Prinz, am Berufsanfang, mit noch nicht voll ausgebildeten und bewährten Grenzen;
  • der verwundete Krieger, der sich seinen eigenen Verwundungen und Neurosen nicht stellt, statt dessen nach und nach Trost und Entlastung bei Patientinnen sucht;
  • der dienende Märtyrer, meist in fortgeschrittener beruflicher Position, weitgehende Fixierung auf die Arbeit, stellt alles dafür zurück, zunehmender Groll auf diese Lebensführung. Beginnt spezielle Ausnahmen zu machen, Selbstrechtfertigung "irgendwann muss ich doch auch einmal etwas bekommen";
  • der falsche Liebhaber, ein Mann voller Sehnsucht danach "alles zu haben", viele Frauen, Genüsse, häufig auch Alkohol/Medikamentenmissbrauch oder Sucht, begleitend häufig zusätzlich erheblich Persönlichkeitsstörung;
  • der dunkle König - hier geht es um Macht, Ausbeutung, massive Spaltung effektive Dr. Jekyll/Mr. Hyde Geschichten.

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VII. Selbsthilfegruppen für Sexabhängige und Angehörige

Wie bei den anderen Abhängigkeiten auch, sind nach dem Vorbild der AA spezielle 12-Schritte Gruppen für Sexabhängige entstanden. Wir haben diese Gruppen auch in Deutschland. Anders als bei den AA-Gruppen ist es sehr schwer, als Therapeut hier eine offene Gruppe mitzuerleben. Anonyme Sexsüchtige, S-ANON Angehörigen Gruppe, Sex und Liebessüchtige und ihre Angehörigen, in den USA zusätzlich recovering couples Anonymous, Sexual compulsives Anonymous (für Homosexuelle) sowie Sexaholics Anonymous. Alle diese Gruppen sind offen für Menschen mit sexuellen Problemen. Unterschiede gibt es in der Definition von Abstinenz. Anders als beim Alkohol kann totale Abstinenz nicht das Ziel sein, aber was ist gesunde Sexualität, welche Maßstäbe für sexuell abstinente Lebensführung werden angelegt? In den einzelnen Gruppen liegt der Schwerpunkt zum Teil anders z.B. bei den SA gilt als einzig akzeptiertes sexuelles Verhalten Sex mit dem Ehepartner/in, was für Homosexuelle wenig Lösungsmöglichkeiten bietet. Bei den SLAA kann jede/r innerhalb gewisser Grenzen seine sexuelle Abstinenz selber festlegen äußerer - mittlerer - innerer Kreis von Verhaltensweisen. Als Fachmann/frau wird man sich sinnvoller Weise mit den nächstgelegenen Gruppen in Verbindung setzen, gegebenenfalls eigene Informationsdefizite ausgleichen und Anlaufadressen und Telefonnummern für Betroffene bereit halten können.

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VIII. Zusammenfassung sexuelle Abhängigkeit

  • Sexabhängigkeit tritt schätzungsweise bei ca. 1-3% der Erwachsenen auf.
  • Sie ist gekennzeichnet durch zunehmendes sexuelles Phantasieren, Handeln; eine klare Gewöhnung mit Notwendigkeit, Häufigkeit oder Intensität des Verhaltens zu steigern; trotz gravierender Konsequenzen in Familie, Arbeit oder Finanzen wird das Verhalten beibehalten und alle Versuche es zu kontrollieren, scheitern.
  • SA ist keine eigenständige ICD 10 Diagnose. In Frage kommen sexuelle Störung NNB, Paraphilie NNB, Störung der Impulskontrolle NNB.
  • Ein ausführlicher Fragebogen von P. Carnes enthält gegenwärtig 170 Fragen, ist aber z.Z. gar nicht ins Deutsche übersetzt.
  • Sexabhängigkeit ist - wie andere Abhängigkeiten - eine Familienerkrankung.
  • Die Anamnese ergibt bei Sexabhängigen und ihren Partnern/innen sehr oft eine Missbrauchserfahrung (emotional, körperlich, sexuell) in der Kindheit. Oft werden dann aus den Opfern später Täter, so dass mehrere Generationen betroffen sind.
  • Eine genaue Suchtanamnese ist wichtig, denn bei ca. 60% liegt außerdem eine Abhängigkeit von Alkohol/Medikamenten vor.
  • Bei Mehrfachabhängigen sollte die Substanzabhängigkeit zuerst und anschließend die Sexabhängigkeit behandelt werden.
  • Eine reine Entwöhnungsbehandlung wegen Alkohol/Medikamenten führt offenbar nicht zu Eindämmung des sexuell abhängigen Verhaltens, oftmals eher das Gegenteil.
  • Am Anfang der Behandlung steht die Notwendigkeit einer Phase von 90 Tagen, in denen Betroffene weder mit anderen noch mit sich Sex haben (Zölibatszeit).
  • Gründliche Gespräche über Merkmale gesunder Sexualität gegenüber abhängiger Sexualität sind mehrfach zu führen.
  • Es ist wichtig, sich das sexuelle Verhalten /Erregungskette genau schildern zu lassen.
  • Spezifisch nachzufragen sind Rolle und Ausmaß begleitender Aggression/Gewalt.
  • Individuelle Therapieverträge bezüglich bestimmter Verhaltensweisen können sinnvoll, ja erforderlich sein. Manche Sexsüchtigen werden erst beim Durchbrechen der Fastenregeln als solche erkannt.
  • Immer wieder hinweisen auf die Öffnung zur Wahrheit "sag die Wahrheit früher".
  • Dies stellt hohe Anforderungen an die Therapeuten/innen. Eine Auseinandersetzung mit den eigenen Höhen und Tiefen der Sexualität ist sehr wünschenswert, kann aber bei normaler Psychotherapie Ausbildung nicht erwartet werden.
  • Bei der Behandlung von sexuellen Tätern/innen ist sorgfältig zu prüfen, wie weit eine Integration in eine Patienten/innengruppe möglich und sinnvoll ist und auch vom Gesamtteam geleistet werden kann. Selbsterfahrung in der Auseinandersetzung mit den eigenen Täteraspekten dürfte ebenfalls sehr wünschenswert sein.
  • Möglichst früh + verpflichtend Besuch spezifischer Selbsthilfegruppen wie SA, SLAA.
  • Sehr wichtig - wie bei allen Süchten - die Einbeziehung der Angehörigen durch Familiengespräche. Hinweise auf Angehörigen Selbsthilfegruppen S-Anon etc.
  • Inzesterfahrungen und deren Wiederholung mit Ärzten/Therapeuten/Priestern finden sich bei Sexabhängigen gehäuft. Es ist auf die eigene Grenzziehung/Grenzgefährdung speziell zu achten (evtl. Supervision).
  • Wer mit Sexabhängigen arbeitet wird Namen und Vorfälle von Kollegen/innen erfahren, die ihre Helferrolle missbraucht und Patientinnen geschadet haben. Überlegen Sie, was Sie den Betroffenen raten und ob Sie selber bereit sind, per Anzeige, Anruf bei berufständischen Organisationen Einhalt zu bieten.

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Selbsthilfegruppen für Sexsüchtige und Angehörige:

  • S-Anon, Kreuzstraße 13, 76133 Karlsruhe (Angehörige), E-Mail: deutsch@sa.org

 

  • AS-Anonyme Sexaholiker, Postfach 1262, 76002 Karlsruhe

 

  • SLAA, Sex- und Liebessüchtige Anonym - The Augustine Fellowship, Postfach 1352,
    65003 Wiesbaden    www.slaa.de

 

 

Literatur

  1. Carnes, P.: Wenn Sex zur Sucht wird. Kösel Verlag, München, 1992
  2. Fischer, G.; Becker-Fischer, M.: Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie. Zwischenbericht für das Bundesministerium für Frauen und Jugend, Bonn, 1994
  3. Irons R.; Schneider J.: The wounded healer - Addiction sensitive therapy for the sexually exploitative Professional. J. Aronson Publ. 1999
  4. Mäulen, B.: Strenges Vorgehen gegen sexuelle Übergriffe. Dt. Ärzteblatt 94 (1997) 2806-2807
  5. Mäulen, B.: Irons, R.: Süchtige Verhaltensweisen im Bereich der Sexualität. In Gölz (Hrsg.): Moderne Suchtmedizin. Thieme Verlag 1998 (ausführliches Literaturverzeichnis, diverse Tabellen)
  6. Schneider, J .; Schneider, B.: Sex, Lies and Forgiveness. Hazelden Educational Materials, 1991.

BERNHARD MÄULEN

Schriftenreihe der DGDS e.V. Band 3
Suchtmedizin - aktuell
ISBN 3-86135-112-9

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