Interview

 
 

 

Die Cybersex-Versuchung

Immer mehr Menschen werden sexsüchtig.

Einer der Hauptauslöser: das Internet.

 

Mehr als 25 Jahre hat Mark Laaser ein Doppelleben geführt. Pornographie, Affären und Besuche bei Prostituierten gehörten zu seinem Alltag während des Studiums und seines späteren Dienstes als Pastor. Seine Ehe stand kurz vor dem Ruin. Dann endlich nahm er Hilfe in Anspruch. Heute, zwölf Jahre nach seiner Umkehr und Heilung, hat der promovierte Psychologe diverse Bücher zum Thema „Sexuelle Sucht“ veröffentlicht und arbeitet als Vorsitzender des Seelsorge- und Beratungsdienstes „Christian Alliance for Sexual Recovery“ in den USA. Laaser hat Hunderte von Süchtigen und deren Familien seelsorgerlich begleitet und viele Gemeinden beraten, deren Pastoren und Gemeindeleiter bei sexuellen Verfehlungen ertappt worden sind. Nach Laasers Ansicht werden insbesondere pornographische Angebote im Internet („Cybersex“), also Bilder, Videos, Clubs und Chat Rooms (virtuelle Kommunikations-Foren) zum Auslöser Nummer eins für sexuelle Sucht.

 

 

 

Frage: Sie haben Pornographie als einen Baustein auf dem Weg zur Sex-Sucht beschrieben. Das Internet scheint da ja genau hineinzupassen.

 

Laaser: Das Erschreckende am Internet ist erst einmal, dass man ohne weiteres Zugriff auf Perversionen bekommt, die jeglicher Beschreibung spotten. Das zweite und stärkste Problem ist, dass man diese Angebote in der Privatsphäre des eigenen Heims wahrnehmen kann. Früher musste man in die verschiedenen Rotlichtviertel gehen, man musste heimlich dorthin fahren und lief Gefahr, sich der öffentlichen Demütigung auszusetzen.

 

 

 

 

Frage: Würden Sie sagen, dass der Konsum von Internet-Sex den Appetit auf konkrete sexuelle Handlungen fördert?

 

Laaser: Ich glaube, dass der Durchschnittstyp, der einer solchen Sucht verfällt, wie in einer Spirale abwärts rutscht. Das Internet regt den Appetit auf sexuelle Aktivitäten an. Und wenn man die Porno-Sucht eines Menschen nicht behandelt und ihn damit allein lässt, wollen seine Gedanken irgendwann auch ihren realen Ausdruck finden - auf welche Weise auch immer.

 

 

 

Frage: Kann das Internet aus Menschen Sex-Süchtige machen, die unter anderen Umständen nicht abhängig geworden wären?

 

Laaser: Einige haben vielleicht eine Tendenz zur Pornographie-Sucht und die entsprechenden Schwachpunkte. Aber wenn dann das Internet dem Tür und Tor öffnet, werden viele in die Sucht gerissen, die ohne Cybersex-Angebote wohl nicht so schnell degeneriert wären.

 

 

 

Frage: Normalerweise wird Sex-Sucht für ein männliches Problem gehalten. Sind Frauen denn auch eine Risikogruppe?

 

Laaser: Wir haben einen dramatischen Anstieg unter Frauen festgestellt, die pornosüchtig oder in ihrem sexuellen Verhalten aggressiver geworden sind. Im Rückblick auf die letzten Jahre würde ich sagen, dass Frauen eher zur Sucht nach Liebesgeschichten oder Chat Rooms neigen. Das stimmt zwar heute noch immer irgendwie, aber die Dinge ändern sich langsam. Sehen Sie sich Frauen zwischen 30 und 35 an. In dieser Altersgruppe oder jünger werden sie immer direkter. Sie werden sexuell aggressiver und agieren wesentlich konkreter wie zum Beispiel durch Masturbation. Unsere Kultur verkabelt quasi das weibliche Gehirn neu. Und ich meine „neu verkabeln“ im wahren Sinne des Wortes - auf neurochemischer und neuroanatomischer Ebene werden Frauen gewissermaßen dazu „umprogrammiert“, visueller und aggressiver zu werden.

 

 

 

 

Frage: Wie geschieht das? Nur durch Wiederholungen?

 

Laaser: Das menschliche Gehirn kann keine neuen Hirnzellen ausbilden, aber es hat die Fähigkeit, neue Verbindungen zwischen ihnen zu schaffen. Neurochemisch kann man praktisch die Verbindungen in seinem Gehirn neu verlegen. Das sind gleichzeitig gute und schlechte Neuigkeiten. Die schlechte Nachricht ist, dass man sein Gehirn auf Sünde umprogrammieren kann, aber die Bibel sagt in Römer 12, 2, dass ein Hirn auch wieder zum Guten umlernen kann.

 

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Frage: Also muss ein Mensch mit einem Pornographie-Problem sein Denken umprogrammieren?

 

Laaser: Unser Gehirn wird sich sonst nach einer Weile an die Eindrücke anpassen und braucht dann immer mehr Reize, um den gleichen Effekt zu erzielen. Deswegen pervertieren Sex-Süchtige mit der Zeit immer mehr.

 

 

 

Frage: Sie vertreten die Ansicht, dass unsere Kultur uns sexuell missbraucht, indem sie uns mit ungesunden sexuellen Bildern bombardiert. Wie gehen Sie als ehemals Sex-Süchtiger damit um?

 

Laaser: Wenn man sich der negativen Einflüsse bewusst ist und sie als Bombardement begreift, dann weiß man, dass diese Bilder etwas sind, mit dem man bewusst umgehen muss. Erkennt man den negativen Einfluss nicht an, sondern lässt sich damit täglich überfluten, dann dringen diese Dinge in unser Unterbewusstsein, während man den Reizen gegenüber immer mehr desensibilisiert wird. Wir haben ein seelsorgerliches Programm, in dem wir Hilfe anbieten und Menschen über diese Dinge aufklären.

 

 

 

Frage: Also ist es wichtig, dass man sich nicht isoliert?

 

Laaser: Eines unserer Lehrprinzipien ist, dass positive Gemeinschaft die Befreiung von pornographischer Lust fördert. Wir glauben, dass man wesentlich unempfänglicher für pornographische Stimuli ist, wenn man sich in Gemeinschaft in der Ehe, Kirche und mit Freunden befindet und in dieser Gemeinschaft Liebe, gesunde Berührungen und die dadurch entstehende Wärme erfährt. Wenn man also mit all diesen anzüglichen Dingen überflutet wird und sich versucht fühlt, sollte man innehalten und einen Blick auf das Gesamtbild werfen: Wo stehe ich in meiner Ehe? Wo stehe ich in meinen Beziehungen?

 

 

 

Frage: Auf einen Nenner gebracht: Wenn man eine Seite füttert, verhungert die andere?

 

Laaser: Sex in all seinen Spielarten wird zum Ersatz für gesunde Liebe und gesundes Wachstum. Wenn ein Süchtiger sich mit Versuchungen überflutet sieht und ihnen nachgibt, dann meist, weil er oder sie nach Freundschaft, Liebe und gesunder Körperlichkeit hungert.

 

 

 

Frage: Sie sagten gerade „Sex in all seinen Spielarten“. Meinen Sie damit außerehelichen Sex? Oder sagen Sie, dass Sex innerhalb der Ehe auch problematisch werden kann?

 

Laaser: Ich glaube, in einigen Ehen ist es ein sehr großes Problem, dass Sex dort nicht auf einer innigen geistlichen Gemeinschaft beruht. Er basiert eher auf einer Flucht vor echter Intimität. Wir sind einsam und haben starke Bedürfnisse, und anstatt eine emotionale und geistliche Verbindung einzugehen,setzt auf sexueller Ebene eine Art Fluchtmechanismus ein. Wenn ich aber mit Hilfe von Sex versuche, meinen Gefühlen zu entkommen, führt das, krass ausgesagt, zu vaginaler Masturbation. Man phantasiert über jemand anderen. Der Sex dient dann nur noch der körperlichen Befriedigung. Und diese Art von Sex könnte dann auch zu einer Sucht werden.

 

 

 

Frage: Was sind denn Warnsignale dafür, dass ein Paar sich auf diesen Abwegen befindet?

 

Laaser: Ob Sex einem zum Beispiel das Gefühl von Distanziertheit vermittelt, anstatt Nähe. Jedes Signal von sexueller Unzufriedenheit in einer Ehe muss angesprochen werden. Meistens sind es doch Fälle von emotionalen und geistlichen Problemen.

 

 

 

 

Frage: Was würden Sie jemandem sagen, der spürt, dass er pornosüchtig ist?

 

Laaser: Der Hauptfehler, den Christen begehen, ist zu denken, dass sie mit diesem Problem allein dastehen. Und dass sie, wenn sie auf diesem Gebiet versucht werden, den Kampf allein austragen können. Wenn bei sexueller Sünde Einsamkeit die Ursache für das Problem ist, dann kann der Glaube, dass man es allein schaffen kann, diese Einsamkeit noch verstärken.

 

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Frage: Für Verheiratete gilt dann sicher auch, sich neu auf ihre Ehe zu konzentrieren, oder?

 

Laaser: Wenn ich etwas sehe, das mich versucht, muss ich mich natürlich daran erinnern, dass ich mich einer höheren Form der Partnerschaft und Sexualität in meiner Ehe verschrieben habe. Das biblische Bild, mit meiner Frau „ein Fleisch“ zu sein, besagt dabei, dass ich mich ausschließlich von meiner Frau und ihrem Körper, egal wie alt sie ist, angezogen fühle.

 

 

 

 

Frage: Das geht doch total gegen den Strom der Kultur, die so besessen von der ausschließlich körperlichen Seite des Sex ist...

 

Laaser: Das schöne Paradoxe daran ist aber, dass sich die gegenseitige körperliche Anziehung verstärkt, wenn man sich auf die emotionale und geistliche Beziehung konzentriert.

 

 

 

Frage: Wann sollte denn jemand, der mit sexueller Sünde zu kämpfen hat, Hilfe von außen konsultieren?

 

Laaser: Wenn man darin hängen bleibt. Wenn es nur eine kleine Sache ist, dann muss man nicht unbedingt ein umfassendes Suchtbekämpfungsprogramm besuchen. Aber ich glaube dennoch, dass man sich die Verfehlung eingestehen, darüber reden und sich Hilfe holen sollte, um herauszufinden, woher die Einsamkeit und der Ärger kommen. Nur so lernt man letztlich, damit umzugehen.

 

 

 

Frage: Sollte man zuerst nur mit seinem Partner oder seiner Partnerin darüber reden?

 

Laaser: Ich würde von vornherein mit mehreren Leuten darüber sprechen. Man braucht schon guten Rat, wie und wann man es seinem Ehepartner beichten sollte. Damit sollte man ihn oder sie nicht überfallen. Viele Betroffene glauben fälschlicherweise, dass das Problem dann gelöst sein wird, wenn sie es nur ihrem Partner sofort gestehen. Aber das funktioniert nicht so einfach.

 

 

 

Frage: Niemals?

 

Laaser: Vielleicht ab und zu. Aber selbst in diesen Fällen habe ich das Gefühl, dass diese Menschen nur krampfhaft die Zähne zusammenbeißen und das eigentliche Problem dabei überspielen. Das wichtigste ist, sich daran zu erinnern, dass all diese sexuellen Probleme Symptome sind. Sie sind nicht das eigentliche Problem. Sie sind ein Symptom für Einsamkeit, Bindungslosigkeit, Depressionen, Ärger. Die emotionalen und geistlichen Probleme liegen viel tiefer. Wenn man also abhängig geworden ist, wenn es zur Gewohnheit geworden ist, sollte man es als Symptom dafür betrachten, dass es vielleicht Beziehungsprobleme gibt. Wo die herkommen? Vielleicht stimmt etwas mit Ihrer Ehe nicht. Wenn Sie Ihrer Ehefrau also nur erzählen, dass Sie sich Internet-Pornos ansehen, wird das der Situation nicht helfen.

 

 

 

Frage: Wohin soll man sich dann wenden? Sie haben in diesem Zusammenhang die Kirchen ja sehr scharf kritisiert.

 

Laaser: Ich glaube, die grundlegende Frage sollte lauten: Ist die Kirche ein sicherer Ort, um über diese Art von Sünde zu reden? Oder wird man verurteilt werden? Ich glaube, dass jeder von uns in der Gemeinde einmal alle Arten von Sünde betrachten sollte, um sich dann zu fragen: Ist unsere Gemeinde der Ort, wo wir sicher über unsere Fehler reden und immer noch Gnade empfangen können? Oder gehen wir in die Kirche und versuchen, uns und anderen einzureden, dass wir etwas sind, das wir eigentlich gar nicht sind?

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Frage: Ist der pervers-positive Aspekt der ganzen Sache also, dass die Kirchen durch die ausufernde Internet-Pornographie dazu gezwungen werden, endlich offener über Sexualität zu reden?

 

Laaser: Sexualität ist ein wunderbares Geschenk für die Ehe. Durch die zunehmenden pornographischen Angebote werden Christen dazu gezwungen, einmal tiefer darüber nachzudenkend, was sich Gott mit der heiligen Vereinigung zweier Menschen in der Ehe wirklich gedacht hat und was Paulus meinte, als er davon sprach, dass Mann und Frau ein Fleisch werden sollen. All das im Licht dessen, was uns die heutige Gesellschaft über Sexualität lehrt.

 

 

 

 

Frage: Wie decken sich Ihre Thesen zur Sex-Sucht denn mit biblischen Aussagen?

 

Laaser: Begriffe für Lust, die Sie in der Bibel finden, sind auf eine Weise Synonyme für Selbstsucht. Gesunde Sexualität ist nicht selbstsüchtig. Sie ist nicht einfach dafür gemacht, eigene biologische Bedürfnisse zu decken; Sexualität ist vielmehr als Ausdruck für die Fülle einer emotionalen und geistlichen Beziehung gedacht. Aus dieser Sichtweise heraus glaube ich, sollte man sich eher um die Beziehung zu seinem Partner sorgen als darum, ob man heute abends diese oder jene Art von Sex bekommt.

 

 

 

 

Frage: Sie haben oft behauptet, dass Sex nicht das größte Bedürfnis eines Mannes sei. Das widerspricht den Aussagen vieler anderer Autoren.

 

Laaser: Ich glaube, da täuschen sich viele Männer selbst. Wenn sie glauben, dass unsere menschliche Biologie das ist, was uns antreibt, ist Sex wirklich wichtig. Wenn wir Männer aber danach streben, ein Herz für Gott zu bekommen, dann glaube ich, ist unser Hunger nach Gott unser größtes Bedürfnis. Wenn wir Christus in unserer Ehe suchen, dann glaube ich, ist das unser größtes Bedürfnis.

 

 

 

Frage: Aber Sie sind doch selbst lange „verbotenem“ Sex nachgejagt, als wäre es Ihr größtes Bedürfnis. Männer, die heutzutage abhängig sind von Pornographie, fühlen sich vielleicht genauso, auch wenn sie wissen, dass es Sünde ist.

 

Laaser: Und genau das ist die Frage: Wem oder was jage ich hinterher? Welche Ziele, welche Visionen füllen mein Herz aus? Wir wollen Männern höhere Wege vermitteln. Gott hat uns biologische Sehnsüchte gegeben, das steht außer Zweifel. Der Anblick einer nackten Frau wird uns stimulieren, und wir werden darauf reagieren wollen. Das ist einfach ein Teil von unserem Menschsein. Aber wir können uns auch über unsere grundlegenden biologischen Bedürfnisse hinwegsetzen, indem wir ein Herz für Gott entwickeln, ein Herz für unsere Frauen und ein Herz dafür, ein Fleisch mit ihnen zu sein. Wenn wir das nicht tun, wird es uns immer so vorkommen, als ob Gott uns einen miesen Streich spielt, indem er von uns die Monogamie verlangt.

 

 

Die Fragen an Mark Laaser stellte Jim Killam. Die Rechte für die deutsche Übersetzung liegen bei „Neues Leben“.

 

 

 

 

Vorsicht Sex-Sucht

 

Frage: Was sind Risikofaktoren für Sex-Sucht?

 

Einsamkeit. Wenn man nie gelernt hat, gesunde Beziehungen zu führen. Oft ist das Problem in der Kindheit verwurzelt: Mangel an gesunder Liebe, Berührungen und Umsorgung durch die Eltern gerade im frühen Kindesalter.

 

Missbrauch. Physischer, sexueller, emotionaler Missbrauch in der Kindheit programmiert einen Menschen geradezu darauf, ängstlich und ärgerlich zu sein und Sexualität oft falsch zu interpretieren. So ist die endlose Suche nach Sex in Wirklichkeit ein Versuch, den Mangel an emotionalen und geistlichen Beziehungen auszugleichen.

 

Sucht. Mindestens ein Suchtfall in der eigenen Familie (das muss nicht unbedingt Sex-Sucht sein).

 

Gesetzlichkeit. Ein streng religiöser Familienhintergrund, in dem Sex nur im negativen Kontext betrachtet wurde.

 


Dieser Artikel ist der Zeitschrift "Weißes Kreuz" Zeitschrift für Lebensfragen entnommen.

 

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